Mittwoch, 29. Januar 2014

BOOM


Letzten Freitag kam es zu einem Wendepunkt meiner Ansicht über meine Schule, meine Stadt und generell über Thailand.
Ich fang mal von Anfang an: Am Freitagnachmittag hörte ich ein gewaltiges Krachen. Ich war zu Hause und ging raus um zu sehen, woher es kam. Ich wohne direkt am Busbahnhof von Prakhonchai und jeden Freitag ist dort ein großer Markt und demnach sind auch viele Menschen unterwegs. Als ich aus meinem Haus trat, kamen mir genau diese Menschen panisch, schreiend entgegen und kurz darauf gab es 2 weitere Explosionen etwa 100m von mir entfernt. Die nächsten Minuten waren total chaotisch und konnte das Geschehen von meine Balkon vor meinem Zimmer aus betrachten. Eine große Staubwolke hing in der Luft; ein paar Menschen lagen am Boden; Polizisten liefen wild hin und her; weinende Schulkinder warteten verängstigt auf ihre Busse; der Verkehr stand still. Nach einer Weile normalisierte sich die Situation und der alle gingen wieder ihre gewohnten Wege. Ich wusste noch immer nicht, was eigentlich los sei.
Meine Gastmutter erklärte mir, dass es in Prakhonchai einen großen Konflikt zwischen 2 Gangs gibt. Die eine Gruppe besteht hauptsächlich aus Schülern meiner Schule und die andere aus Schülern der Muangtalungpittasan School (eine andere Highschool in Prakhonchai). Die drei Explosionen stammten von selbstgebastelten Bomben von ein paar Schülern der anderen Schule. Die ganze Aktion war ein Rachezug für eine Schlägerei einen Tag vorher.

 Diese Information überforderte mich völlig. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich überhaupt nichts von diesen rivalisierenden Gangs und schon gar nicht, dass sie so gewalttätig sind. Zum Glück gab es bei diesem Bombenanschlag nur Verletzte, aber in der Vergangenheit kam es auch schon zu Toten, wegen des Konfliktes. Meine Vorgängerin erzählte mir, dass es während ihres Freiwilligenjahres zu einer großen Schlägerei kam, bei der die Polizei eingriff und mehrere Menschen erschoss. Letztes Jahr gab es eine Messerstecherei und ein paar Schüler meiner Schule töteten einen Jungen der anderen Schule. Diese Schüler kamen nicht ins Gefängnis, weil sie noch unter 18 waren und gehen nun in den 12. Jahrgang. Ich lebe hier nun schon ein halbes Jahr und habe noch nichts von diesem Konflikt vorher gehört. Vielleicht war ich einfach zu naiv, um es vorher zu merken. Ich dachte immer, das schlimmste, dass meine Schüler machen sei, dass sie ab und zu heimlich auf den Toiletten rauchen und nicht, dass Mörder unter ihnen sind. 
Das Traurigste an der ganzen Sache ist, dass es niemanden interessiert. Niemand spricht den Konflikt an oder versucht ihn zu beendigen. Ich wollte mehr über diese Gangs wissen und sprach auch mit einigen Schülern aus der Oberstufe. Sie wunderten sich sehr, dass ich überhaupt nachfragte, denn normalerweise interessiert sich nie ein Lehrer für diese „dunkle Seite“  der Schüler. Ich hatte ein langes, interessantes Gespräch und sie erzählten mir von ihren Freunden in den Gangs, den vielen Kämpfen und wie die Gangs ihr alltägliches Leben prägen. Da sind noch so viele Dinge mehr, über die man mit ihnen reden könnte und ich merkte, dass die Schüler es auch gerne wollen, aber keiner hört ihnen zu.
Das ganze Leben an einer thailändischen Schule ist rein prüfungsorientiert und die Schüler werden wenig auf das „wahre“ Leben vorbereitet. An deutschen Schulen gibt es etliche Präventionsveranstaltungen zu Themen wie Drogen, Alkoholkonsum, Verhütung, sicherer Umgang im Internet oder Gewalt. Genau solche Veranstaltungen fehlen in Thailand völlig. Die Schulen werden wie eine Firma geführt und es geht hauptsächlich um Geld, schließlich sind alle weiterführenden Schulen kostenpflichtig. Es geht immer nur um Prestige und nur die wenigsten Lehrer interessieren sich für das Privatleben der Kinder.  Die Schüler sind leider kaum mehr als eine nur Nummer. 

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